Gesprächsprotokoll für den 22./23.9.1923Parallelansicht ⇨
Gesprächsprotokoll,
22.–23. September 1923
Politisches.
Bei Vultur
,
22.9.23
.
Kardinal Schulte
sei sehr gedrückt von Rom zurückgekommen.
Ein Nahestehender von
Stresemann
hier und will
mein Urteil über die
Lage erfahren.
Respondeo
:
1)
Bayern
gegenüber ist die Suppe am
Kochen. Es wäre klug,
dem Ausbruch zuvorzukommen.
Und nach dieser Seite eine große
Geste
zu machen. Aber auch
Realitäten,
nicht bloß
Gesten.
Das Reich war in der letzten Zeit Bayern
sehr entgegenkommend (mein Auto,
Konkordatserklärung). Das Dringlichste:
Verkehrshoheit
zurückgeben (die bayerischen Eisenbahner schimpfen, die
Preußen nehmen uns die schönsten Stellen
weg - und Eisenbahner
bauen mit an der öffentlichen
Meinung),
die Regelung der
Ausfuhr
wenigstens die nächsten Monate,
dann geben die Bauern mehr ab, die
Finanzhoheit,
letztere
nicht so dringlich.
2) In der Ruhrfrage geht Stresemann
den rechten Weg und muß ihn weitergehen trotz der vaterländischen Verbände. Die
bisherige
Ruhrpolitik
war ein
Holzweg,
also zurück. Die sittliche
Korruption
infolge des Nichtstuns
(Bergen
: Es wandern Arbeitsscheue dort zu. Wo früher zehn Arbeiter waren,
sind heute sechzig und müssen verblutend diesen Generalstreik
finanzieren.
Dann legen sie das Geld in
holländischen Devisen
an).
Warum nicht jeder Arbeiter in Berlin ein
Conto,
und er zahlt nur mit
Scheck,
und das Reich verpflichtet,
diese Schecks in Zahlung zu nehmen?
… Die Besten
sagen: Wir opfern gerne,
wenn wir nur wüßten,
es werden damit wirklich Lasten entlastet
(nicht Freiheitskampf,
sondern Freiheitsopfer).
3) In der Steuerfrage: Ein wahres Unglück, daß diese Steuerpolitik mit der Ruhrpolitik zusammenfällt und deshalb bei den Bauern und bei allen politischen Säuglingen, die im öffentlichen Leben nicht unterscheiden können, Mißtrauen und Verbitterung und Revolutionslust auch gegen die Ruhrpolitik erweckt. Die Sechsmonatssteuer für den Landbesitz ist zu schwer - wenigstens eine Pause (Steuereinnehmer?). Der Besitz muß besteuert werden, aber erträglich (man braucht 45 000 Gerichtsvollzieher). (Nicht vom Land, sondern vom Ertrag. Wenn es ihm gestohlen wird? Die Arbeiter nicht für die Hand, sondern für Arbeit und Lohn).
Persönlich: Aufruf zu freiwilliger Abgabe, ein Drittel Besitz. Noch niemals davon die Rede. Ob unser Volk noch moralisch die Kraft hat- vor dem Ausland beweisen! Die Schieber werden so und so nicht erfasst. Aber dafür drei Sicherungen: 1) Poincaré
muß endlich eine bestimmte Summe
nennen. 2) Wir müssen sicher sein,
daß nicht unterwegs ein Finger
hängen
bleibt,
wie bei der Kriegsgesellschaft
unsere Kirchenglocken.
3) Daß es wirklich ans
Ziel
kommt. Mir ist bereits ein
Diadem
versprochen. Es ist doch noch Schmuck da. Ein
Zehent? Der Staat opfert
aus den Staatswäldern jeden zehnten Baum, aus den Gemäldesammlungen jedes zehnte Bild
(die
Schieber
fassen? Machen Sie
Detektiv
zu Schaffner.
Im gleichen Zug! Der weiß nach drei Wochen,
wer alle fünf Tage
hier durchfährt).
Tuefo
,
22.9.23
.
Im Auftrag seines
Herrn
Gruß. Die Rede hat geistigen Eindruck gemacht und wurde verstanden.
Der Anlaß: Der Tag in
Nürnberg
gut gelaufen,
wieder einmal
weiß-blau
und
schwarz-weiß-rot -
aber
Ludendorff
hat alles auf
sich bezogen. Eine Äußerung von ihm:
Wir marschieren nach Berlin und machen linksum gegen Frankreich.
Die drei Kampfverbände:
Nationalsozialisten
(aber mit
Hitler
nichts anzufangen),
Reichsflagge (ihr
geistiger Führer
Heiß
,
Nürnberg,
werde sich auch dem König
gegenüber unterwerfen,
glaubt man),
Oberland
ist bereits freiwillig dagewesen.
Gedacht ist nach
Artikel
48
der Verfassung
ein
Staatskommissar,
also
legaler
Anfang.
Held
war beim
König
und sagte: Es ist noch nicht die Stunde,
aber wir müssen alles vorbereiten
und Sie müssen hinter den
Kulissen
mitarbeiten. Seitdem tut das der
König
mehr wie früher. Das große Hindernis die
Personenfrage,
die Eifersucht:
Ob
Kahr
oder
Knilling
.
- Zwischen diesen beiden heute mittag eine Aussprache vor dem
König
.
Eine andere wichtige Aussprache:
Ludendorff
.
ungerufen melden lassen und wird heute erscheinen,
und der
König
wird ihm ein klares Wort sagen.
Respondeo
:
Wenn
Bayern
wieder wie nach dem Dreißigjährigen Krieg Deutschland rette,
dann muß es unter Führung von
Bayern
sein!
Bergen
am gleichen
22.9.23
.
Sehr schade, daß
Pacelli
nicht in Berlin ist: Er
könnte für die Versöhnung jetzt soviel tun. Der
englische Gesandte
sagt: Der
päpstliche Nuntius
wäre die Verbindung zu uns.
Respondeo
:
Man hofft,
das
Konkordat
wird bald fertig, ich habe weniger Hoffnung,
weil wieder alles Mögliche
dazwischen
kommt.
Der Brief des
Heiligen Vaters
war so günstig für uns und wurde nicht verstanden.
Ob ich im
Oktober
nach Rom komme. Ich: Ich sagte
Cuno
,
er
solle den
Heiligen Vater
als Schiedsrichter anrufen.
„Das könnte der
Heilige Vater
nicht annehmen“ - warum nicht: Er hätte sich überzeugt,
daß Frankreich ablehnt,
dann
könnte
er annehmen.
Ich sage meine Meinung über
Ruhrpolitik: Er sagt,
Stresemann
wäre,
wenn er umlenkt,
in persönlicher Lebensgefahr.
Testa![Kurzbiografie anzeigen](resources/images/dokument/i-icon.png)
:
Sehr für Deutschland, die
Ehre
müsse doch gerettet werden,
also
Kapitulation
unmöglich,
aber
Poincaré
wolle eine
Kapitulation.
Der
Haß
werde geschürt!
Ich sage: Das Wegnehmen der Kinder eine große Dummheit -
in Italien,
meint er,
hätte man das niemals getan,
aber die Deutschen haben eine
Manie
zu
organisieren.
Stresemann
müsse umlenken? Ich würde mich nicht wundern,
morgen in der Zeitung zu lesen: Er wurde ermordet wie
Rathenau
.
Der
Heilige Vater
habe ihm auch gesagt,
Poincaré
geht,
aber die päpstliche
Doktrin
bleibt.
Cuno
geht,
aber die Grundsätze des Papstes bleiben.
Vultur
mit
[ ]
(?)
Er sei im Auftrag des
Reichskanzlers
hier - stehe ihm persönlich nah, morgen früh vom Bahnhof zum
Kanzler
und mein Wort wird mitentscheidend sein.
1) Was tun? Er muß den
passiven
Widerstreit oder besser gesagt den Generalstreik aufgeben.
Ohne Steine auf Vorgänger zu werfen. Hat die Erbschaft angetreten,
also vom Montag ab arbeiten, die Arbeit wird bezahlt,
nicht die Arbeitslosigkeit, nicht Arbeitsscheue.
Syndikus
von Hamburg zurück. Unter gemischter Aufsicht:
Die Deutschen müssen,
weil sie den Betrieb alleine kennen,
die Franzosen,
weil sie Herren der Lage sind. Dann Schulden abzahlen statt Schulden machen.
Der
[ ... ]
gelobt, sie sei
2) Werden Sie sich wagen,
dagegen Sturm der Vaterländischen kommt,
hinter ihn
zu
stellen. In rein politischen Fragen unmöglich. Wenig Fühlung hier mit politischen Parteien, mit dem Freund zu wenig. Nur soweit moralische Fragen damit in Verbindung sind. Er: Die sittliche Verderbtheit ist groß,
also muß ich reden.
Nur zuerst die Bischöfe vom besetzten Gebiet.
[ ]
Er soll sein persönliches Leben schützen, wenigstens seine Freunde
(sei umgezogen).
3) Wird aber
Poincaré
auch diese Vorschläge annehmen,
der
will Arbeit,
um für ihn Kohle
zu
fördern? Das weiß ich nicht, muß man fürchten
Nein, er will unsere Vernichtung.
Aber dann moralischer Eindruck,
wenn dieses Angebot nach Rom und England geht!
Um die Wendung schmackhafter zu machen:
a) Für den
Foederalismus
an Bayern etwas geben. Verkehrshoheit (meinen Sie
die
Verwaltung oder bayerische Eisenbahn? Die Parteien meinten wohl das Ganze, die
Kläger
der Eisenbahnen
sind aber mit der Rückgabe der Verwaltung wohl zufrieden).
Rechnen
Sie mehr mit
Volksstimmungsmoment!
Poincaré
rechnet nur mit solchem!
Nehmen Sie den Vaterländischen den Wind aus den Segeln.
Er meint,
er war erstaunt über die Reichsmütze an der
Eisenbahn hier,
die man droben
nicht mehr trägt, „sollen
ihre blaue Mütze tragen“.
selber hat soviel,
daß er froh ist,
wenn etwas nicht auf seinen Tisch gehört,
aber das Volk nimmt
alles zusammen.
Vultur
:
Ebert
hat das Privateigentum aufgehoben.
Jetzt umdrehen und sagen: Wenn wir nicht mehr für
Ruhr
zu zahlen haben
(40
Millionen
Goldmark jeden Tag,
sagt er),
dann kann die landwirtschaftliche Sechsmonatssteuer gemindert oder gestundet werden!
Dann werden die Steuern überhaupt enden, weil es
wirkliche
Steuer zum Schuldenzahlen nicht für
Ruhrsteuer
wird,
in den Sack
ohne Boden.
Er bestätigt,
daß viele zugewandert sind,
um die Arbeitslosenunterstützung zu bekommen und dann mit den Geldern des Reiches in
holländischen Devisen
zu handeln.
Überhaupt Steuern vereinfachen: Wie beim Arbeiter Lohnabzug, beim Beamten Gehaltsabzug, so beim Bauern den Zehent - gleich bei der Ernte oder beim Verkauf. Ich werde raten auf diesem Gebiete, - bei der Industrie neue Aktien - beim Umwechseln der Devisen, beim Hausbesitzer bei Einnahme der Miete, vielleicht durch Steuereinnehmer, aber alles einfach, automatisch, schmerzlos (er bemerkt: Es zahlt ja niemand Steuern).
Graf Oberndorff
,
23.9.23:
Soll man den Wagen in den Abgrund laufen lassen oder etwas tun?
Ich sage
Ja, etwas tun,
weil andernfalls das
Chaos
und der Bürgerkrieg und Überlaufen der
Ruhrarbeiter
zu den Franzosen...
Wir sollen zur Arbeit auffordern unter Aufsicht einer gemischten Kommission,
dann wenigstens
moralischer
Eindruck im Ausland. Er: Moralische Kräfte werden überhaupt nicht mehr geschätzt.
Das Ausland sagt:
Ob
Peru
und
Bolivia
miteinander Krieg haben und eines geht dabei zugrunde, läßt uns kalt -
so bei Deutschland.
Er hat eine Nummer in Temps mit boshaften Bemerkungen über die Rede des Kronprinzen
- also nicht einmal das Abschütteln des
Ludendorff
hat dort Eindruck gemacht.
Stresemann
hat
die Rede des
Kronprinzen
zweimal
zitiert,
offenbar um
ihn zu ehren.
Zeitung: Man schreckt vor dem Worte Kapitulation zurück. Es muß nicht jede Kapitulation unehrenhaft sein. Nicht Kapitulation, sondern Friedensschluß. Wenn beide einsehen: Es sei besser, Frieden zu machen, als weiter zu streiten.
Bei Vultur
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3) In der Steuerfrage: Ein wahres Unglück, daß diese Steuerpolitik mit der Ruhrpolitik zusammenfällt und deshalb bei den Bauern und bei allen politischen Säuglingen, die im öffentlichen Leben nicht unterscheiden können, Mißtrauen und Verbitterung und Revolutionslust auch gegen die Ruhrpolitik erweckt. Die Sechsmonatssteuer für den Landbesitz ist zu schwer - wenigstens eine Pause (Steuereinnehmer?). Der Besitz muß besteuert werden, aber erträglich (man braucht 45 000 Gerichtsvollzieher). (Nicht vom Land, sondern vom Ertrag. Wenn es ihm gestohlen wird? Die Arbeiter nicht für die Hand, sondern für Arbeit und Lohn).
Persönlich: Aufruf zu freiwilliger Abgabe, ein Drittel Besitz. Noch niemals davon die Rede. Ob unser Volk noch moralisch die Kraft hat- vor dem Ausland beweisen! Die Schieber werden so und so nicht erfasst. Aber dafür drei Sicherungen: 1) Poincaré
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Tuefo
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Es dürfte Kronprinz Rupprecht
gemeint sein.
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➥ Seite 72
Hat sich beim
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Bergen
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Testa
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➥ Seite 74
b) Leider in zeitlichem Zusammenhang mit der
Steuerpolitik
und darum von den politisch Ungeschulten auch in ursächlichem
Zusammenhang. Der
Kanzler![Kurzbiografie anzeigen](resources/images/dokument/i-icon.png)
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Überhaupt Steuern vereinfachen: Wie beim Arbeiter Lohnabzug, beim Beamten Gehaltsabzug, so beim Bauern den Zehent - gleich bei der Ernte oder beim Verkauf. Ich werde raten auf diesem Gebiete, - bei der Industrie neue Aktien - beim Umwechseln der Devisen, beim Hausbesitzer bei Einnahme der Miete, vielleicht durch Steuereinnehmer, aber alles einfach, automatisch, schmerzlos (er bemerkt: Es zahlt ja niemand Steuern).
Graf Oberndorff
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Er hat eine Nummer in Temps mit boshaften Bemerkungen über die Rede des Kronprinzen
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Zeitung: Man schreckt vor dem Worte Kapitulation zurück. Es muß nicht jede Kapitulation unehrenhaft sein. Nicht Kapitulation, sondern Friedensschluß. Wenn beide einsehen: Es sei besser, Frieden zu machen, als weiter zu streiten.