Barbara HeinzParallelansicht ⇨
Gesprächsprotokoll, 8.–10. Februar 1930

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Samstag, 8.2.1930. Urbis et Orbis.

Am Tag vorher an der Pforte ohne ihren Namen zu geben. Schreibt eine Karte, sie wolle beichten, sei eigens deshalb hierher gekommen. Früh 11.00 Uhr, sie soll fünf Minuten kommen. Entweder hier oder sie gehe nach Rom. Nach Speyer könne sie nicht gehen. Es handelt sich um eine ernste Sache für die Kirche. Sie schwört, sie will niemandem sagen, daß sie hier war. Ich soll nur einen Rat geben. Nach der Beichte erkläre ich: Das eine ist Beichte, das andere Politik und Geldfrage und hat mit der Beichte nichts zu tun. Sie sei jeden Tag angegangen worden, auszusagen - sie könnte reden und viel Geld verdienen - aber ich bin doch katholisch und muß einmal vor Gottes Gericht gehen. In seinem Mantel war sein Tagebuch, das man nicht wegnahm - wohl aber seine Uhr und Brieftasche. Barbara Heinz, was hat diese Politik und diese Geldfrage mit der Beichte zu tun.

In einem großen Couvert Empfehlung vom Pfarramt (will sehr mildtätig, sogar über ihre Kräfte) und vom Bürgermeister
Möglicherweise handelt es sich um den Speyerer Bürgermeister Karl Leiling.
(einfaches amtliches Zeugnis, wer sie sei) so außerhalb Beichte den Namen erfahren. Ein Exposé: Unser finanzielles Verhältnis: Bruder im Krieg und sie alleine mit dem großen ökonomischen Betrieb - später wurde er dafür freigegeben. Pferdezucht. Er gründete die Freie Bauernschaft und ging erst 23, als er keinen Ausweg mehr sah, mit hohen und höchsten Stellen in die rheinische Bewegung. Bald wurde von einem Vermummten die Scheune in Brand gesteckt und er selber 9.1.24 auf höheren Befehl ermordet. Ich war alleinige Erbin (von einer verheirateten Schwester sind sie getrennt), Kind unter vierzehn Jahren, also gerichtlich nicht faßbar, und zur Konfirmation. Und Kirchheimbolanden zerstörte das Schweizer Haus. Bargeld gab niemand, sobald man den Namen hörte. Die Dienstboten blieben auch ohne Lohn - es heißt aber himmelschreiend sei es, den Lohn nicht zu geben. 23 mille Hypothek, 30 000 Grundschuld, 30 000 Wechsel. Ich weiß aus seinen Aufzeichnungen, wer und wie viele mit ihm einverstanden waren. Im Wittelsbacher Hof in Speyer wurde alljährlich Gedenkfeier veranstaltet von Verbandsleiter Hartmann. Er ist nicht in der Ecke des Friedhofs begraben, ich durfte den Platz aussuchen, Bürgermeister
Möglicherweise handelt es sich um den Speyerer Bürgermeister Karl Leiling.
half mit aufbahren.

Sie haben einmal in Kirchheimbolanden gepredigt: Auf den Trümmern katholischer Vergangenheit. Mich hat das ergriffen. Meine Eltern
Es handelt sich um Barbara und Adam Heinz.
und wir haben immer in der Seelsorge geholfen. Ich habe der Mutter versprochen, Mutters Stelle zu vertreten. Der Vater war Katholik, in der protestantischen Gemeinde hoch geachtet. Der Bruder von seltener Führereigenschaft, immer in Gefahr. Wir wollten mit dem Vermögen eine Pfarrei errichten. Ende Oktober unser Gespräch: Sie werden Dich umbringen - dann sterbe ich für eine schöne Sache. Brot und Frieden für unser engeres Vaterland. Ich ging nach Mainz in der ewigen Anbetung beten zu lassen.

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Die andere Schwester blieb fern beim Begräbnis. Sein Bischof hat ihn verdammt aus Menschenfurcht. Er starb ohne Sakramente, aber er wollte eine Pfarrei gründen, hat den Klöstern Gutes getan. Bei den separatistischen Soldaten kochte es gegen Bischof und Brehm - ich sagte, laß dem Herrn die Rache. Auf mein Krankenlager regnet es Schmähbriefe. Der Bischof setzte allem die Krone auf - ich ließ ihm sagen: Als Bischof sei er mir zu ehrwürdig, als Politiker zu kurzsichtig, als Mensch zu klein, um mit ihm zu streiten. Sechs Jahre suche ich nun zu ordnen. Alle Klöster schreiben ab. 52 000 in der Brandversicherung. Dort in der Nähe lag die Prämonstratenserabtei Bodenkirchen und ringsum noch andere Klöster. Unser Haus soll Pfarrhaus gewesen sein. Ein Teil der Katholiken ist ausgewandert, ein Teil durch die Priester gestorben, ein Teil abgefallen. Die einzige katholische Familie, ein Mitglied wurde erschossen, einer erhängte sich, nachdem er sein Erbe vertrunken. Ein anderer ertrank im Hof als Kind. Und jetzt der letzte Träger des Namens ohne kirchlichen Segen beerdigt. Eine ungesühnte Schuld auf unserer Familie? Oft schon sprang ich aus dem Bett, weil eine Stimme rief: Steh auf, gehe auf den Speicher und mach ein Ende. Wenn Sie mir nicht helfen können, bitte ich wenigstens um ihr Gebet. Barbara Heinz. 30.1.30.

Montag, 10.2.30 war sie auf Bestellung nachmittags 16.00 - 16.45 Uhr noch einmal bei mir. Den Umschlag hatte ich ohne eine Zeile von mir zurückgegeben. Ich sei sehr ergriffen von ihrem harten Los und dem Verhängnis in der Familie, das sie so schön dargestellt hätte, aber zu helfen sei bei dieser Verschuldung nicht. Uns seien hier viele Güter angeboten (sie meint: Aber in jener Gegend ist eine Mission notwendiger. Ob nicht die Jesuiten? Haben Pullach noch nicht bezahlt). Für ihre Auslagen 100 M. - Die will sie der Frau Betz in ihrem Haus geben. Immer wieder: Sie könnte sich Geld machen mit dem Tagebuch des Bruders - glauben Sie doch das nicht. Ob nicht die Wittelsbacher etwas tun könnten? Die sind selber arm. „Wenn nur ihre Dienstboten bezahlt wären - können Sie ihnen nicht etwas geben vor der Katastrophe?“ Aber es ist ja nichts mehr da - aber ihre Augen haben doch bei diesem Wort geleuchtet. Sie wisse nicht, ob sie noch einmal heimkomme. Sie will dem Heiligen Vater erzählen, wie der Bischof gehandelt. Erzählt viel von einem Brief von Pfarrer Michel, sie soll ihr Haus zum Pfarrhof machen. Wir Bischöfe hätten ihren Bruder Ungeheuer, sie selber Lügnerin geheißen. Sie hätte immer geschwiegen. Mit Hildenbr. großes Mitleid. Die Briefe von Kaas hätte ein Freund: wenn er Bischof von Trier würde, dann ... Bittet um den Segen - das Gebet auch für den Bruder - gelobt sei Jesus Christus.