Tagebucheintrag vom 12. November 1922Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10007, Seite 111-112

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12 November. Nach einer schlechten Nacht mit furchtbarer Erkältung in den Dom, wo gut besucht ist, weil man die zerissenen Schuhe um 7.00 Uhr nicht sieht.

11.00 - 13.00 Uhr in der Regierung, Aufgang 3 Sitzung über die Kirche in Wildenwart: Bürgermeister Wallner, Professor Architekt Greßl von Tölz, der mir Grüße von den Damen Artmann bringt, Laßberg, Cramer-Klett, Oberregierungsrat von Rosenheim, Pfarrer Rupp von Prien, Leonrod. - Wir gründen den Bauverein. Ich schneide zugleich die Frage an, Gruft im Dom.

Zuhause warten die 3 Exercitiantinnen: Postsekretärin M. Lutz , Marie Schweyer , Erna Hock - erhalten Fotografien, weil sie nach den Exercitien in Adelholzen 3 000 M. für die Armen gestiftet hatten.

16.00 Uhr im Postulat: Schwester Justitia kommt zu spät, aber sie sang allein das Vincenzlied. Die kleine Elena Rossignani, Nichte des Nuntius , taub, liest von den Lippen ab.

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Einer von Prilep, Josef Schmitz-Epper, Worms, Redakteur des Hessischen Bauern - bekommt auf Bitten eine Fotografie von mir.

Abends 19.30 - 20.30 Uhr mit Dr. Tedaldi bei Baron Cramer-Klett. Er wollte mich besuchen, ich wollte es aber weniger offiziell machen, und darum dort wie zufällig, als ich einen Brief nach Rom kurz vor seiner Abreise dem Herrn Baron mitgeben wollte. In Italien sei der Analphabetismus um 80 Prozent zurückgegangen (ein Analphabet in Italien ist nicht so schlimm wie einer in dem schuldressierten Deutschland), Sie werden staunen, was Neapel in zehn Jahren als Welthafen bedeutet. Jetzt unter Mussolini atmet das Volk auf: Jetzt ist für Nahrung und Ordnung gesorgt, jetzt können wir ruhig arbeiten, jetzt kann man in Turin bei den Fiatwerken einen braven Arbeiter nicht mehr, bloß deswegen, weil er nicht zur Roten Organisation wollte, bei lebendigem Leib im Ofen verbrennen. Ich wende ein: Italien sollte überhaupt das Bindeglied für den Welthandel von Ägypten und dem Osten her werden für Mitteleuropa und damit waren wir auf dem Thema. Zufuhr von Reis und Mais, Wolle und Häuten, besonders auch Veredelung, Stoffe, die hier verarbeitet und wieder zurückgehen, „wir können viel von Deutschland lernen“. Es ist ein Unding, ein Land mit blühender Industrie und so am Boden. Italien würde in einem Hafen, vielleicht Venedig, Freihafen und für die Bahn Tariferleichterung geben. Und dafür Austausch, besonders Eisenbahnwagen, weil die Eisenbahn erneuert wird, landwirtschaftliche Maschinen, Holz, Chemikalien, Farbstoffe. Frankreich will nur kein Großpreußentum - aber wie das möglich, da Bayern keinen Zoll= und Handelsvertrag schließen darf? Ich antworte, durch Privatconcern und das greift er auf, wie wenn er es erwartet hätte und geschäftlich sich beteiligen würde. Und Österreich? Könnte nicht ausgeschlossen werden, müßte sich wohl beteiligen. Wenn aber Bolschewismus im Norden im Winter? Dann umso besser für den Süden, wenn er sich anderswoher versorgen kann. Dieser kleine Gedanke führt auf einen weit größeren Gedanken, aber das der Zukunft überlassen. Mein Gesamteindruck: Entweder will er selber Privatgeschäfte großen Stils machen, was ihm zukommen möge, wenn er uns Lebensmittel schafft - oder er ist ein politischer Gesandter und will von Süden erreichen, was von Westen nicht zu erreichen ist, Bayern vom Reich zu trennen. Etwas theatralisch wie er ausrechnet, daß das Brot bei uns 700 M. kosten müßte.

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