Tagebucheintrag vom 23./25. April 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 80-81

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Mittwoch, 23. April. Nachmittags gehe ich ruhig in die Stadt, obwohl man von Verhaftungen überall hört: Baron Würtzburg, die Vorstände der Kliniken...

Im Josefinum mit Monsignore Jörg, habe Karte für Nuntius abzugeben.

Veterinärstraße 9 bei Pater Sierp. Ihm danken für die Feldausgabe, nur sollten wir eine Kasse haben, um das mehr zu verbreiten, vielleicht etwas über Adventisten einmal einen Artikel. Pater Borkowski wegen seines Artikels über religiöse Pflicht der Familie: Ein Buch fürs Vorschulpflichtalter (Liebe zu Christus festlegen, damit später gesichert), ein zweites Buch für das sechste bis zehnte Lebensjahr, dabei aber Kirche betonen, damit sie vom Lehrer und sogar vom Vater unabhängig werden. Er arbeitet seit acht Jahren an einem Buch für Gymnasiastenselbsterziehung. Frauen sollten da wohl mitarbeiten.

Georgianum: Direktor ist sehr ängstlich, und einmal nächtens als Prorektor geholt. An der Pforte eine Schwester. Es ist zweifelhaft, ob sie wirklich am 6. Mai die Vorlesungen beginnen können. Heiler in der philosophischen Fakultät, der übers Gebet geschrieben, lese Matthäusevangelium sehr niederreißend.

Die Osterwoche in den Katakomben. Unter Tags in der Wohnung, entweder früh (Freitag Firmung und Sitzung) oder Nachmittag auf verschiedenen Wegen. Die Frau eines Schutzmannes, der durch die Spartakisten um seine Stellung gekommen ist, läßt mir sagen, ihr Mann habe

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mich auf der Straße erkannt, und sei dann hundert Schritte hinter mir hergegangen bis ans Haus, um mich zu beschützen.

Der Dom-Wein im Keller soll abgefüllt und weggebracht werden, da auch Meßwein geraubt wird, Südfrüchteläden geplündert werden, und das nennt das Flugblatt: in München herrscht Ruhe und Ordnung.

Pfarrer Gilg von Sendling mit drei Kaplänen verhaftet. Er hatte eine Arbeiterversammlung besucht und früh mit einer Trompete sein Hauspersonal geweckt. Sie sprengen die Türe. Dann beten sie der Reihe nach Brevier. Um 9.00 Uhr kommen Arbeiter mit Zylinder zum Oberkommisar und dann wird er feierlich in die Kirche geleitet.

Architekt Hölzle hat, wie auf der Sitzung 25. April 1919 mitgeteilt wird, sein Vermögen dem Metropolitankapitel und sein Haus dem Erzbischof vermacht. Georgenstraße 8 - aber das wird uns noch Sorgen machen. Gerade wenn das Erbschaftssteuergesetz kommt.