Tagebucheintrag vom 20. April 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 78-79

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Ostersonntag, 20. April.

Früh 7.00 Uhr gehe ich aus den Katakomben heim, im Hausrock an diesem größten Feiertag durch die menschenleeren Gassen. Das Hochamt 9.00 Uhr war stark besucht, ebenso die Vesper. Die Straßenpatrouillen der roten Armee machen große Augen, weil die Leute auf der Straße so viel und ehrmütig grüßen.

Nachmittag im Talar bei den Armen Schulschwestern, deren Häuser in Böhmen und Ungarn schwer bedroht sind, auch dort im Noviziat, denen ich die Charakterbilder bringe. Die Kinder (bereits sechs Jahre in der Schule) sind von der politischen Welt kräftig abgeschlossen, begrüßen aber Sonntagfrüh mit lautem Alleluja, das andere sei Silentium.

Dann noch auf der Nuntiatur, wo ein weiteres Fräulein und Schwester Bonifatia aus Sankt Ingbert, die heiser waren. Die andere Schwester krank, und der Nuntius heute früh ins Josefinum geschafft worden.

Auf dem Heimweg die Kraftwagen der Räte, wo mittendrin ein Russe mit Gewehr sitzt.

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In der Osternacht 23.30 Uhr Auto mit dem Auftrag, mich zu verhaften. Wir hatten uns alle ziemlich ruhig niedergelegt. Ich dachte nicht ans Weggehen, obwohl Generaloberin gebeten hatte, nach dem Gottesdienst zu kommen, und Schwester Katharina beim Weggehen meint: „Was die Nacht wohl bringen wird.“ Ich werde durch Klopfen und Läuten geweckt und sehe den Schein des Autos auf der Straße. Ankleiden und in Strümpfen in die Katakomben. Es läutet immer fort, aber sonst kein Lärm. Matthias ist sehr gefaßt, läßt sie erst warten, dann sich durch das Fenster Ausweis mit Bild zeigen, sogar Schwefelholz dazu geben, dann weil er nicht aufmacht: „Die droben werden nicht wach“. Sekretär schaltet die Sicherung aus, weil es auch Plünderer sein können und empfängt sie. Ob ein zweiter Ausgang wäre? „Sehen Sie selber nach.“ „Du, da sind ja Schwestern“, sagt einer. Ein polnischer Jude führt und einer beklagt, daß er ihn ewig schüttelt, weil er ein paar Schreckschüsse abgegeben hätte. Dann nehmen sie den Sekretär mit. „Ach Gott“. - „Seien Sie ruhig, Schwester, wir tun dem Sekretär nichts.“ Er verlangt noch ein Glas Wasser, darf sogar bei der Fahrt „zu Hof“ ins Palais Wittelsbach rechts sitzen. Ein Herr, den er für den Führer hält, ist selber festgenommen. Im Palais auf der Stiege schlafen betrunkene Soldaten, im zweiten Stock Verhör. Droh-Erlaß von Bamberg, wo die Geistlichen zum Werben für die weiße Garde aufgefordert werden. „Weil also die Geistlichen wieder Religion und Politik verbinden, haben wir den Erzbischof verhaften wollen“. Wußten nicht, daß schon vor acht Tagen das nämliche aus einem anderen Grund und von anderer Seite geplant war: „Sie werden nicht glauben, daß der Erzbischof acht Tage hier sitzt und auf sie wartet“. - „Da hat er einmal recht“, wirft der andere dazu. Nur die irrige Bemerkung „Toller sei im Irrenhaus gewesen“ wird zu Protokoll genommen. „Wir behandeln unsere Geiseln gut. Die dürfen sogar Billard spielen, wo es aber einen Zusammenstoß gibt, schrecken wir vor gar nichts zurück.“ Morgen wird der Bamberger Aufruf hier den Arbeitern kund gegeben. 0.30 Uhr kommt er zurück und wir sprechen noch sehr vergnügt bis 1.30 Uhr im zweiten Stock über die Erlebnisse: wie in Italien ein Geistlicher erst absolviert und wie Bruder Sixtus nach der Absolution weiter knallt. Schießt. Dann natürlich nicht mehr ins Bett und nicht mehr geschlafen.

Früh 7.00 Uhr in den Dom, danach mit dem Kapitel in der Sakristei gesprochen, Sekretär soll sogleich Erklärung abgeben, daß wir eine Verantwortung für den Arbeitersekretär Schirmer nicht übernehmen können. Vor der Sakristei stehe ein Mann, die Hände in der Tasche - wahrscheinlich ein Gespinnst von Baronin Leoprechtig
Möglicherweise handelt es sich um die Mutter des Generalmajors Waldemar von Leoprechting.
. Beim Domdekan umkleiden und in die Katakomben. Man muss anerkennen, sie waren sehr verständig und geduldig, die alten Sergeanten hätten nicht eine Viertelstunde gewartet. Sekretär hatte an die Stadtkommandatur telefoniert, „der Erzbischof soll verhaftet werden, ob diese Auftrag hätte“ und bekam die Antwort: „das geht uns nichts an.“

Später stellt sich heraus, daß es gefälschte Telegramme waren, die von Bamberg an „alle katholischen Ordinariate und Pfarrämter“ verschickt und durch Bayern telegraphiert, unterzeichnete das erzbischöfliche Ordinariat Dr. Senger oder Schirmer. Von Olching und anderen Pfarrern ist es sicher bekannt geworden. Schon die Adresse und mehr die Tatsache, daß direkt an Münchner Pfarrämter geschickt wurde, spricht für die Fälschung.