Tagebucheintrag vom 26. Februar 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003,
Seite 54-55
26.
Februar,
Humatio
10.30 Uhr.
Allgemeine
Landestrauer ist angeordnet, die öffentlichen Gebäude müssen beflaggt werden –
alle Behörden und Räte sollen dafür sorgen, von
10.00 - 10.30 Uhr
müssen alle
Glocken des Landes läuten.
Hier sind die Kirchtürme schwarz beflaggt. Der
Wind
stürmt und heult um die Häuser. Der Zug geht von der
Theresienwiese
mit
feierlicher
Trauermusik, ein langer
Zug
durch die Nußbaumstraße
zum
Ostfriedhof.
Eine große Trauerschießerei setzt ein.
Sekretär
bespricht wegen Beflaggung des Hauses, das nicht öffentliches Gebäude ist,
wie das
Ordinariat,
und wegen Versendung des
Hirtenbriefes.
Daß der
Erzbischof
einen
politischen
Mord verabscheut,
das braucht er doch nicht zu beteuern, das wird man hoffentlich wissen.
Sekretär
selber betont,
wie man das in einigen Jahren anschauen wird.
Er
wird erklären: Der Herr wäre nicht da und ich habe keinen Auftrag; da gehen sie hinauf und tun sie es selber . . .
Viele wollen noch nicht verstehen,
daß sie nur noch Vergangenheit
[ ... ]
.
Sogar Wäsche
für eine neue Klinik von
Ludwig
[ ... ]
.
Es ist wieder ein sehr ernster Tag. Werden Sie nachmittags die Häuser stürmen, die nicht beflaggt ? Vormittag 11.00 Uhr, also noch während der Beerdigung, stürmten sechs Männer, darunter vier Soldaten mit Gewehr ins Haus: Warum ist da nicht beflaggt? Hingen zwei Fahnen (Warum man nicht eine weg hat?). Die Soldaten standen mit Gewehr am Fenster, so daß die Menge auf der Straße den Terror sah. Besonders ein junger Zivilist benahm sich sehr frech: Schleifen am Parkettboden, macht sich am Altar und Altarstein zu schaffen, schimpft über die leerstehenden schönen Räume. Andere Leute hätten keine Wohnung. Ein alter Mann drängte: „Vorwärs, damit wir noch andere Häuser aufsuchen, wo nicht beflaggt ist“. Bis der Sekretär
von mir heimkam
,
flatterten bereits die zwei Fahnen. Der
Nachmittag
war ruhig, sogar die Wallfahrt zur
Mordstelle
hörte auf.
Werden Sie die Räterepublik am Grab ausrufen?
Waffen werden verteilt,
aber nur an die
sozialistisch
organisierten
Arbeiter. Die
Generaloberin
schreibt den Schwestern,
wie einmal in den
sechziger
Jahren das Mutterhaus gestürmt
werden sollte, wie sie bereits angeritten kamen, wie aber dann am
Sendlinger
Tor der Anführer stürzte, sich schwer verletzte, von den Schwestern gepflegt wurde und eines guten
Todes starb. –
Graf Arco
wurde in den allgemeinen Krankensaal verlegt. Der
Verwalter
wollte ihn überhaupt aus dem Hause haben, als
Auer
sehr viele Blumen hatte, sagte er:
Bringt dem
Grafen
auch ein paar davon.
Sauerbruch
ließ sie hinaustragen,
aber nicht ins Zimmer vom
Grafen
.
Bereit sein ist jetzt alles, was zu tun ist. Freilich hätte ich gerne noch im Leben zwei Dinge geschrieben, den Katechismus für die Reclambibliothek und das Psalmenbuch
,
aber
wie Gott will.
Das Herzklopfen ist wieder stärker, nach jedem Zeitungslesen oder wenn das Schreien von der Theresienwiese herein kommt – beim Rangieren schallt es gerade wie eine Gewehrsalve und das Signal der Lokomotive in der Ferne klingt wie Menschengeschrei.
Öffentliche Anfragen an die Bürger: 1) Wenn die Monarchie abgeschafft, warum wird Eisner
doch wieder wie eine König begraben,
während
Osel
und Hundert andere einfach zugeschüttet werden, ist das
Demokratie?
2) Ist das
Demokratie,
wenn die
Pressefreiheit
unterdrückt und
die
Zensur
in einer
tyrannischen
Weise gehandhabt wird?
Die
Zensur
ist ein Stück
Krieg,
nach dessen
Ende
sich alles gesehnt hat.
3) Warum werden die
Attentäter
gegen
Auer
und
Osel
nicht bekannt gegeben? Braucht es bloß dort ein
Volksgericht,
wo ein
Adeliger
ein Verbrechen begangen hat? Ist das nicht
Revolverdemokratie.
4) Ist das
Demokratie,
wenn nur die
sozialistisch
organisierten
Arbeiter Waffen erhalten, die christliche Gewerkschaft nicht, sind das keine Arbeiter?
5)
Geiselsystem
auch ein Stück Krieg und
preußisches
Militar.





Vermutlich gemeint: König Ludwig III
.



Es ist wieder ein sehr ernster Tag. Werden Sie nachmittags die Häuser stürmen, die nicht beflaggt ? Vormittag 11.00 Uhr, also noch während der Beerdigung, stürmten sechs Männer, darunter vier Soldaten mit Gewehr ins Haus: Warum ist da nicht beflaggt? Hingen zwei Fahnen (Warum man nicht eine weg hat?). Die Soldaten standen mit Gewehr am Fenster, so daß die Menge auf der Straße den Terror sah. Besonders ein junger Zivilist benahm sich sehr frech: Schleifen am Parkettboden, macht sich am Altar und Altarstein zu schaffen, schimpft über die leerstehenden schönen Räume. Andere Leute hätten keine Wohnung. Ein alter Mann drängte: „Vorwärs, damit wir noch andere Häuser aufsuchen, wo nicht beflaggt ist“. Bis der Sekretär

Erzbischof Faulhaber hielt sich zu dieser Zeit in seinem Versteck in der Psychiatrischen Universitätsklinik München auf.








Bereit sein ist jetzt alles, was zu tun ist. Freilich hätte ich gerne noch im Leben zwei Dinge geschrieben, den Katechismus für die Reclambibliothek und das Psalmenbuch
Laut Vorwort zur zweiten Auflage zu seinem Buch über die Vesperpsalmen (S. 6 f.) plante Faulhaber insgeheim eine vollständige Auslegung des Psalters. Im Jahr 1929 ließ er wegen Arbeitsüberlastung den Plan endgültig fallen und begnügte sich mit einer Überarbeitung der ersten Auflage.

Das Herzklopfen ist wieder stärker, nach jedem Zeitungslesen oder wenn das Schreien von der Theresienwiese herein kommt – beim Rangieren schallt es gerade wie eine Gewehrsalve und das Signal der Lokomotive in der Ferne klingt wie Menschengeschrei.
Öffentliche Anfragen an die Bürger: 1) Wenn die Monarchie abgeschafft, warum wird Eisner




➥ Seite 55
Bezeichnend,
daß
abends
in der
psychiatrischen
Klinik
ungewöhnlich große
Unruhe
herrscht: Ein Mann brüllt, auch in der Frauenabteilung
ein Schreien und Lärmen: Die Kranken haben früh die Trauermusik und die
Flieger
gehört und abends Schießen. Das ist doch der sicherste Beweis,
wie das
Fluidum
der Raserei wirkt.