Tagebucheintrag vom 22. Februar 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 52-53

Text+KommentierungNur Text
Samstag, 22. Februar. Erzählt mir Sekretär, wie es gestern daheim zuging. Schon bei seinem Heimweg hörte er aus Gruppen: Jetzt fangen die Adeligen das Blutvergießen an (von Geistlichen nichts). Ein Soldatenrat erklärte, Erzbischof soll Läuten in sämtlichen Kirchen befehlen, Sekretär hängte ab, statt ruhig Antwort zu geben, daß dafür der Erzbischof nicht zuständig ist. Beim Dompfarrer waren sie wieder durchs Fenster eingestiegen, mit Gewehr, er aber erklärte, er lasse sich lieber erschießen als läuten, der Generalvikar aber sagte, man müsse der Gewalt weichen. Von Sankt Paul telefoniert man, sie hätten dem Pfarrer den Revolver auf die Brust gesetzt.

Nachmittag von Sankt Ludwig: Ein Soldat sei da gewesen, der Erzbischof soll ja auf der Hut sein; Ein Trambahnschaffner kommt ins Haus: Am Sendlinger Tor halte einer wütende Reden, man müsse den Erzbischof aufhängen. In der Stadt war verbreitet, der Erzbischof sei erschossen worden: Sitzung den ganzen Nachmittag. Wie noch nie an Telefon, besonders von den Pfarrämtern, auch von Döderholzen. Vom hiesigen Aufenthalt scheint man keine Kenntnis zu haben.

Geistlicher Rat Sturm habe erzählt, wie es im Landtag zugegangen sei. Auer habe noch zu ihm gesagt: Es wird gut gehen, die ganze Regierung tritt zurück und wird dann neu gewählt. Da sei ein Mann hereingestürmt (die Abgeordneten waren auf Waffen untersucht, die Türen waren aber nicht bewacht) und habe nacheinander auf Auer gefeuert, dann auf einen Regierungsrat, dann Roßhaupter, der aber leicht verwundet und selber weggegangen sei, dann wollte Osel vorspringen und die Pistole wegreißen und erhielt dabei selber den tödlichen Schuß. Darauf fürchterliche Panik und alles auseinander.

Die Buchdrucker streiken und wurden auf der Theresienwiese versammelt.

Die Leute erzählen: Auer sei tot, es sei ganz gewiß wahr, – der Graf sei von den Leuten zerstampft worden – ein Pfarrer der nicht wollte läuten lassen, nachher an die Laterne gehängt.

Schon vor dem politischen Kommando, vor acht Tagen im Umzug, wo noch Eisner dabei war, wurde geschrieen: „Nieder mit dem Erzbischof. Prinzessin Ludwig Ferdinand hört es in ihrem Zimmer.

➥ Seite 53

Wenn es Nacht wird und einzelne Schüsse in der Ferne fallen und die Ruhe wieder unheimlich über der Stadt brüht, dann versteht man die Worte, die den Abend als Zeit der seelischen Gedrücktheit nehmen: ad vesperum demorabitur fletus und komme morgen der Friede
Paraphrasierendes Zitat von Psalm 30. Im zweiten Teil des Verses ersetzt Faulhaber das Wort „Jubel“ durch „Friede“.
. Und wenn die Demonstrationszüge mit den Tafeln und lautem Geschrei durch die Straßen ziehen, versteht man den biblischen Sinnspruch, es sei besser einer Bärin zu begegnen als einem Toren, der sich auf seine Torheit verläßt (Sprichwörter 17, 12).