Tagebucheintrag vom 29. Dezember 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 31-32

Text+KommentierungNur Text
29. Dezember, Eiffe aus Hamburg meldet beim Sekretariat an den Besuch einer inofficiellen Amerika Mission von Mr. Dresel, Bern: Ob aus Süddeutschland Besserung der Lage zu erwarten (wie Eiffe meint), und wie zu einer verhandlungsfähigen Regierung zu gelangen: Unser Volk treibt dem Abgrund entgegen, weil sie keine Rechtsbegriffe haben (Der Bauer nicht für Großgrundbesitz, der Arbeiter nicht für Industrie.) Die Regierung hilflos, weil abhängig vom Geschrei, also selber regiert, statt zu regieren, weil Eisner Zeitungsartikel schreibt, statt zu regieren und keine feste Hand sichtbar wird. Ob Ordnung kommt ohne die Entente? Ich glaube nicht, aber vorher Eingreifen durch die Tat, Eingreifen mit der offiziellen Erklärung: Mit dieser Regierung verhandeln wir nicht, die Arbeiter- und Soldatenräte erkennen wir nicht an und auch die Nationalversammlung nicht, wenn die Freiheit der Wahl nicht gewährleistet wurde. Also vage angegeben, wie der Einmarsch verhütet wird, dann nur einmal klare Lage schaffen: verhandelt ihr oder verhandelt ihr nicht.

Geheimrat Grauert und Frau: Erzähle kurz von dieser amerikanischen Kommission, seine beiden Söhne, von Königsfamilie aus Sachsen.

Gräfin Seinsheim über Wiltrud und Hildegard.

Baronin Besserer: Allgemein über die schreckliche Zeit und die Zukunft.

Herr und Frau Geheimrat Federkiel: Sieht sehr gut aus, bei ihnen am Landgericht alles ruhig (aber für Landfriedensbruch wie das Attentat gegen Auer - Kein Kläger, also auch kein Richter), will Sommer wieder nach Adelholzen.

15.00 Uhr, besuche Prinzeßin Helmtrud im Josefinum wo auch Wulffen: In einem Wald von Blumen darin, kreuzvergnügt und schon wieder sehr gut beisammen, will Freitag heimreisen.

19.00 Uhr Stockhammern, mit Grüßen von Erzberger. Stellt die gleiche Frage: Ob die hiesige Regierung Bürgschaft habe, für den Frieden verhandlungsfähig zu werden: Die gleiche Antwort wie heute dem Amerikaner (sage aber ausdrücklich: feindlichen Einmarsch kann ich nicht wünschen, hoffe aber, daß eine klare Erkärung von Wilson eine verhandlungsfähige Regierung aus der Wahl herauskommen läßt); Bis jetzt haben wir nur Terror für die Wahl zu erwarten (vordem schon beim Verteilen der Flugblätter). Dr. Merkle im Vorzimmer, ein Stefaner, spricht mit Begeisterung von Sankt Stefan und sagt: Eisner [ ... ] eines der ersten Werke sei, Ottobeuren wieder herzustellen (aus Staatsmitteln?) und auch sonst habe er geäußert: Es sei kein Grund zur Besorgnis, denn ein Kloster wie Frauenchiemsee, das zu etwas anderem lebe, als zu Erwerben und Geldgewinnen, sei ihm äußerst sympathisch. Baron Ritter? Nichts bekannt. Pater Coelestin, der auf Bülow einen großen Eindruck gemacht habe. Er sei wenige Tage vor der Revolution hier gewesen und hätte den Parteiführern gesagt, wie ernst es stehe, und daß der Kaiser nicht abdanken könne, weil sonst sofortiger Zusammenbruch. Über mich schon in Speyer Verhandlungen, ich soll Kardinal werden, weil die Standesherren hier einem Hiesigem den Vortritt nicht lassen wollten, dann aber sei dem Nachfolger Bettingers dem König gegenüber, der heute auch inoffiziell versprochen gewesen. Damals viel verhandelt und herumgefragt, aber der Nuntius habe erklärt, der Kardinal könne nur hier sein. Deronco römische [ ... ] Sicht.

➥ Seite 32

Er stellt einige sehr verfängliche Fragen, so zwischen hinein: Ob die Volkspartei eine Mehrheit bekommen wird (Ja, wenn die Wahl frei ist, aber ich glaube nicht an dieses Wenn); „Man habe auch von Rupprecht gesprochen, ob da wohl Aussichten seien“, „Die jetzige Regierung würde sich wohl nicht mehr lange halten können“ und so ähnliche Fragen, die mir beinahe verdächtig vorkommen, „Weil er Morgen bei Eisner sein wird“. Er selber beteuert, die Hand auf die Lippe legend, daß er streng vertraulich alles nehme. Sagt mehrmals: Da sieht man, was der Episkopat in Amerika an Ansehen hat, daß diese Kommission zu ihnen kommt. „Mit einem Zustand wie in Amerika sei ja wohl auszukommen, fügt aber selber dazu: Aber freilich dort war es von Anfang an so, und ich: Die Bischöfe müssen betteln und die Predigt muß betteln und in diesem Augenblick kann man unser Volk nicht so belasten“.