Tagebucheintrag vom 10. November 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 8

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Sonntag 10. November. Es ward Morgen und Abend. Der dritte Tag.

In der Nacht habe ich keine halbe Stunde geschlafen, das schreckliche Fauchen der Lastautos, das fortwährende Tuten, obwohl kein Mensch auf der Straße ist. Ein Auto rast durch und wird mit „halt, halt“ viermal angeschossen. Auch sonst fallen in der Ferne einzelne Schüsse. Herzklopfen läßt mich nicht schlafen und Magenverstimmung, weil das Essen gar nicht gehen will, - Seit drei Tagen nichts mehr recht gegessen. Die Besuche gehen 10.30 Uhr - 13.30 Uhr durch. Unter den Besuchern Professor Popp, Dr. Carl Rieger, bisher altkatholischer Pfarrer, Grauert wegen des Beamteneides, Ministerialdirektor Bader im Auftrag des neuen Kulturministers wegen der Verpflichtungsformel für die Geistlichen. Dazu der Schreck wegen etwaigen Hochverrats des Dernei.

Nachmittag, 15.30 Uhr, Besprechung im Ordinariatszimmer wegen der Verpflichtung der Beamten und der Geistlichen und ich muß allen Bischöfen schreiben. Es ist sehr ernst, - es wird erinnert, wie heute morgen im Evangelium „als die Knechte schliefen“ die Zuhörer erschüttert habe. Wir hatten Erlaß gegeben, nichts von den Tagesereignissen zu sagen. Am Schluß bittet Dompfarrer unter Tränen: Sie dürfen uns nicht verlassen, wir müssen beisammen bleiben, auch wenn sie nach Freising gehen.

Der König war bis abends 17.00 Uhr spazieren gegangen und als er heimkam, war bereits die Residenz geschlossen und er mußte außen herum. Es grüßte ihn niemand. Ein Soldat höhnte ihn „da kommt der Müllibauer“; andere Gruppen von Soldaten verhöhnten ihn. Die Prinzen im Englischen Garten durch Detektive heimgeholt.

Schon am dritten Tag ist die Stimmung mehr Katzenjammer als Rausch. In den Trambahnen schimpfen sie bereits, wie mir von Ohrenzeugen versichert wird, ebenso über die neue Regierung wie vor acht Tagen über die alte. Heute vor acht Tagen mittags am runden Tische, wenngleich beim Herausgehen eine Schutzwache mich nicht grüßte, - vor acht Tagen die Abendpredigt und heute dieser Umschwung. Die Bischofskonferenz natürlich telegraphisch verschoben. Es ist mir immer als ginge ich über ein Brett, das über einen Grund gelegt und schwankt.

Man hört, in der ersten Nacht in Geheimsitzung habe Eisner gefordert, sofort mit aller Schärfe gegen die Pfaffen, Auer aber habe sehr energisch gesprochen, jetzt alles beim Alten zu lassen (und besonders von den Feldgeistlichen gesprochen) - und ich stehe ein paar Schritte davon an meinem Fenster.

Ich sage es heute wiederholt, zu Graf Lerchenfeld, auf dem Ordinariat, zu Windegg: Es sei ja gar nicht damit zu rechnen, daß eine Gegenrevolution komme, die nicht mehr das Königshaus zurück brächte, sondern nur noch größere Verwirrung stifte, und namentlich noch viel Blut koste. Jetzt muß alles zusammenhelfen, um Ruhe und Ordnung zu halten.

Man hört, die Soldaten bekämen 17 M. für den Tag und freie Verpflegung.