Tagebucheintrag vom 9. November 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 7-8

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Samstag, 9. November. Die Nacht war ruhig, früh sogar vor meinem Fenster die Posten eingezogen.

9.00 Uhr, nachdem in der Früh Bärbel angefragt, kommt Freund mit der Anfrage, ob die katholischen Beamten ihm gewiß den Handschlag an Eidesstatt geben können. Darüber lange Auseinandersetzung, ich gebe ihm die Grundsätze, Gott ist mein Licht
Paraphrasierendes Zitat von Psalm 27(26),1: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten?“
in solchen Minuten - halte aber um 10.30 Uhr eine Sitzung, an deren Anfang mich ein Weinkrampf packt, dann aber klar und sicher die Grundsätze entwickelt und jeden Herrn befragt. Anschreiben an die hiesigen Pfarrer, wegen der Predigt, und bedacht, ob Anweisung an die Pfarrer draußen. Man denkt doch nicht daran, es wegzutun. Auf dem Heimweg zwei giftige Blicke, Zivil und Militär. Begegne Herren vom Außenministerium.

14.30 Uhr Derneid aus Gernertshofen, Trier, hier beheimatet. Seine Lippen zucken: Wir brauchen Männer. Er fragt offenbar nach Adresse, ich erkläre ihm, ich weiß nichts. Als ich Schwaben
Möglicherweise gemeint: Markt Schwaben
, weiß er nicht, wo das ist, geht mit ins Arbeitszimmer, am Abend weiß er aber genau wie viele Kilometer und, daß Trudering dazwischen. Ich werde unsicher, frage nach einem Ausweis - „daran habe ich allerdings nicht gedacht“, abends, 18.00 Uhr, etwa wieder: Er will ein Pferd. Ich kann ihm keines geben. So verrinnen die Minuten. Es kommt Hilfe, er küßt den Ring nach der Umarmung, sei früh in den Dom gegangen von hier und habe einen angesprochen. Beten Sie für uns. Beim Hinausgehen - ich begleite ihn in Gedanken bis an die Türe, aber eben sehr unruhig - wieder zurück, er habe etwas vergessen, ging aber dann doch so fort, sehr ergriffen. Er fragt, wo der König sei, ich weiß nicht. Der 90. Geburtstag des Regenten, der Tag des Ausmarsches mit dem Fahneneid, so stolz auf die Bischofsuniform und jetzt ... es ist nicht möglich, daß Gott das zuläßt. Ich werde stutzig, als er nicht weiß, wo Schwaben liegt, sagt, er sei drei Tage hier, nicht weiß, daß Generalstab gefangen gehalten wird. Ich war deshalb sehr vorsichtig. Betone, daß ich nur kirchliche Aufgabe habe, keine militärische.

15.00 Uhr Bodman
Gemeint ist entweder Sophie Amalie von und zu Bodman oder deren Tochter Marie von und zu Bodman.
von der Harten, die nicht mehr zu Haus - wieder Weinkrampf. - Wie die Frauen organisiert werden könnten, die sind es schon, aber soweit sind wir noch nicht.

17.00 Uhr Maria Huber in einer Gewissenssache. Sie habe sehr lange nicht mehr gebeichtet, - war bestellt, - möge sich an Sankt Bonifaz oder an den Dom wenden. Der Dom um 17.00 Uhr geschlossen. Die Rote Fahne auf dem Turm macht viele stutzig.

Heute halte ich das Sanctissimum in meiner Hauskapelle ausgesetzt, zum ersten Mal, abends 19.00 Uhr, während Tisch wird ein Maschinengewehr direkt vor meiner Haustür aufgepflanzt. Als Hubert hinausschaut, „jetzt werdet ihr gut beschützt“.

Nachmittag, 17.00 Uhr, knallen auf einmal Schüsse, Cilli kommt erschrocken: Sie schießen nach zwei Seiten, einzelne kleinere Einschläge, großes Geschrei vor der Residenz - Die Posten sagen, es sei aus dem Kriegsministerium geschossen worden, darauf knallt es wieder in der Theatinerstraße - Große Aufregung, aber dann wieder still.

Früh bei der Heimkehr von der Sitzung, ein Bild: Die Offiziere hoch gerichtet, mit Achselstücken, von zwei Soldaten mit Gewehr durch die belebten Straßen gefangen abgeführt. - Die sind aus dem Feld gekommen, wo sie jahrelang für die Heimat gekämpft und jetzt werden sie gefangen abgeführt. -

Nachmittag da und dort Schießen, auch Artillerie, gegen Abend Straßen wieder gesperrt,

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Die Panik nachmittags für Volksseele sehr bezeichnend: Ein großes Schießen an die Häuserwände, niemand sieht einen Feind, aber sie schreien „Maschinengewehr her“. Drei Frauen werden vom Herzschlag getroffen, Tram bleibt stehen, alle Straßen abgesperrt.