Tagebucheintrag vom 9. Oktober 1923Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10008, Seite 87,88

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9. Oktober. 11.00 Uhr Seelenamt im Dom für Gräfin Christiane Preysing - gut besucht. Ich wohne ohne Chorkleidung bei.

Dr. Otto Fischer, Direktor der Kommerz= und Privatbank Aktiengesellschaft - von seinem Vater Professor Fischer empfohlen. In Berlin keine Gefahr des Bolschewismus: Es kann eine Plünderung kommen in dem oder Jahr [ ... ], es kann auch eine Anarchie kommen in der Verzweiflung, aber bolschewistische Regierung auf die Dauer unmöglich, weil keine Waffen und kein Geld. Wenn solcher Putsch käme, würde der Dollar sofort so riesig steigen, daß ihre Kassen bald leer wären. Die Sozialdemokraten haben kein Gefolge hinter sich und trauen sich heute vor Arbeitern keine Versammlung zu halten, das heißt aber, zu den Kommunisten überzugehen. Stark gegen Ludendorff, der keine gute Absicht habe für Bayern und sich nach der Niederlage des Kriegs zurückhalten sollte. Er meint, die Franzosen würden, wenn die Arbeit im Ruhrgebiet im Gange ist, das Gebiet einfach wegnehmen - haben doch Gegenteil versprochen. Er fragt, ob Sorge für Seminarien wie Schulte? Für Seminarien wenig, aber für den Mittelstand - er will mir eine Summe wertbeständig zur Verfügung stellen für die Armen. Sein Vater leidet, weil seelisch sehr stark.

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Nachmittags Dr. Kohtes, Friedrichstraße 2, besucht - Tee abgegeben, Schreibmaschine zur Übung angeboten.

19.00 Uhr Schlußprozession in Sankt Benno gehalten und dann den kranken Pfarrer Thanner besucht im Pfarrhof. Die Leute in der Kirche, auch viele Männer, sehr fromm - eine „Gunda Schönfeld“ schickt am anderen Tag Blumenstock „für den weihevollen Abend“ in Sankt Benno.

In die Nacht hinein gearbeitet, weil heute das Porto noch „billig“, nämlich bloß 6 Millionen ins Ausland, von morgen ab 15 Millionen.

Ein Brief aus Paris kommt an, „Kardinal Faulhaber, Erzbischof von Bayern“, ohne Stadtangabe.