Tagebucheintrag vom 22. Juli 1923Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10008, Seite 51

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Sonntag, 22. Juli. Vormittags im Mutterhaus - ein stiller Sonntagshimmel. Keine Auto, dafür aber Orgelspiel aus der Klosterkirche und lautes Beten im Klostergarten. Schon früh beim Erwachen, 5.30 Uhr, hörte ich „heilig, heilig, heilig“ und fragte mich: Bin ich wirklich schon gestorben? Denn gestern und in der Nacht wieder starkes Herzklopfen und Todesgedanken.

15.00 Uhr Prälat Hartig, photographiert im Haus, liebenswürdiger als je ein Photograph für die Plakette am Korbiniansjubiläum.

Dr. Kohtes mit persönlichem Anliegen. Pater Coelestin habe sie gefragt, ob sie besondere Kämpfe gehabt habe, - bis jetzt drei Führer gehabt, aber jetzt anders. Eine besondere Gnade in der Führung des Lebens. Ihre Familie sehr gut. Ihre jüngste Schwester hier sogar in den Drittordens-Frühling - erhält Rosenkranz und noch einen für die Freundin. Meine Kriegsbücher. Der neue Beruf im Wirtschaftlichen, wo die Selbstbehauptung der Frau noch größeres Beispiel bedeutet als eine Sendung.

Helene Weilnhammer von Rosenheim: Ein Priester in Aibling hat davon gesprochen mit ihnen. Seit Jahren sakrilegisches Herausnehmen der heiligen Hostien, sogar als Briefsiegel. Hört sehr schwer, weil sie sich Salzsäure in die Ohren goß und deshalb kein rechter Religionsunterricht. Geht meist nach dem Frühstück und mehrmals zur heiligen Kommunion - „auch heute Früh zweimal“ - und reicht mir aus ihrer Tasche die beiden Species. „Bin ich jetzt losgesprochen“? Nein, vier Wochen nicht mehr zur Kommunion, und in die Kirche nur unter Aufsicht der Schwester Salesia. Nachts schlechtes Gewissen, sagt sie, will davon, weil es herauskommen könnte, hört ja ganz deutlich den Teufel „Gelt, du tust doch wieder“. Bin ich wohl besessen, fragt sie - oder was antun, bevor sie ins Irrenhaus kommt.

Schauer und Pfaffenbüchler: Um 16.15 Uhr ist Weihbischof Hartl in Teisendorf ruhig entschlafen - wir sprechen über Überführung, da sein Bruder hier nicht beschlußfähig ist.

Auf dem Weg vom Mutterhaus eine Frau auf der Bank mit einer Banane - sieht und kennt mich von weitem und ruft: „Hochwürden, jetzt bin i blind a no dazua.“